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Gute Miene zum Vereinbarkeits-Spiel

Die Mental Load wiegt zur Zeit, in der Covid19 und die Isolationsregeln zu erhöhter Anspannung und Sorge führen, noch schwerer als sonst. Trotzdem ist sie immer noch weit davon entfernt, einen goldenen Rahmen zu bekommen, also hervorgehoben, gesehen und wertgeschätzt zu werden! „Mental Load“ ist, obwohl in allen Haushalten präsent, noch längst kein verbreiteter Begriff, sie ist unsichtbar und unterschätzt, und ihr sollen deshalb hier ein paar Zeilen gewidmet werden: Die „Mentale Last der Verantwortung“ ist ein Aspekt, der zur Care-Arbeit dazugehört, aber sie taucht nicht auf in ToDo-Listen, denn sie IST die ToDo-Liste selbst. Oder mehr noch, das, was zwischen den Zeilen der Liste steht.

Mental Load bezeichnet

„die Last der alltäglichen, unsichtbaren Verantwortung für das Organisieren von Haushalt und Familie im Privaten, das Koordinieren und Vermitteln in Teams im beruflichen Kontext sowie die Beziehungspflege und das Auffangen der Bedürfnisse und Befindlichkeiten aller Beteiligten in beiden Bereichen.“

Zu wissen, was alles getan werden muss, damit der Laden läuft, gehört zu den Aufgaben von Manager*innen, vorausschauend planen und Arbeiten delegieren auch, und weil das nicht ohne ist, spiegelt sich das in der Regel auch im Honorar wider. Anders im Privaten. Wer Kinder hat (oder mit Erwachsenen zusammenlebt, die sich in Punkto Verantwortung ähnlich verhalten), weiß genau, was passiert, wenn man eine Aufgabe delegiert und die Mental Load mal zuhause auf der Schlüsselablage liegen lässt:

„Könnt Ihr nach dem Abendessen bitte nochmal eine Waschmaschine starten, ich bin heute Abend gegen acht wieder da.“

Zoom in die Wohnung, in der niemand einen Teil der Mental Load übernommen hat:

  • Die Kinder essen gegen 19h zwei Tüten Chips.
  • Alle Familienmitglieder erinnern sich erst in dem Moment, in dem sie Hunger haben, ans Essen.
  • Das Jüngste weint und ist nicht zu beruhigen – weil es hungrig UND müde ist. Es wird also später als sonst zu Bett gebracht, was die Stimmung nicht verbessert.
  • Das älteste Kind weigert sich, mitzuessen, ist verzweifelt, weil ihm grade erst wieder einfiel, dass es ja heute noch einen Aufsatz für die Schule fertig schreiben muss.
  • Es gibt Müsli und Brote, da niemand rechtzeitig daran gedacht hat, den Herd anzuschalten, um das schon fertig vorbereitete Essen in der Pfanne warm zu machen. (Daraus geht hervor, dass die abwesende Person vorsorglich gekocht hat. Und daraus folgt eventuell, dass die Reste vom Vortag morgen in der Mülltonne landen werden)
  • Die Wäsche wurde nicht aufgehängt und auch keine neue Ladung gestartet.
  • Die Kaninchen wurden nicht gefüttert. (Das ist zwar Aufgabe der Kinder, aber wenn kein Erwachsener sie erinnert, „vergessen“ sie es.)

Bevor die Liste den Artikel sprengt, können wir abbrechen, denn zur Zeit ist sowieso alles anders.

Es ist ja #WirbleibenZuhause- und #CoronaEltern-Zeit! Da kommen die Kinder aus ganz anderen Gründen als sonst zu spät ins Bett. Alle Tagesstruktur den Bach runter, abends wieder länger hell, das bisschen Haushalt und HomeSchooling, ach, und die Arbeit im HomeOffice wird parallel jongliert, Kita-Schließung, was soll’s!

Wer sorgt eigentlich dafür, dass unter diesen besonderen Umständen die Stimmung nicht kippt? Oder sagen wir besser, nicht zu oft kippt? Denn DASS sie kippt, wenn sich alle Sorgen machen, ist ja völlig normal. Ob nun Sorge, sich anzustecken,  Sorge um die eigene Gesundheit, die Gesundheit der Großeltern, Sorge um den Job, Sorge beim Blick in die Nachrichten, Sorge, warum eigentlich die Erwachsenen so anders drauf sind, …

Emotionsarbeit

Die Stimmung im Raum positiv zu beeinflussen, ist ein weiterer Teil der Mental-Load. Er ist noch unsichtbarer, als die lange ToDo-Liste von oben, die ja sowieso niemals geschrieben wird. Die sogenannte „Emotionsarbeit“(„Emotional Labour“, Arlie Hochschild, 1979) meint  
„Das Managen von Beziehungen und Emotionen innerhalb einer Gruppe, eines Teams oder einer Familie“, und dazu gehört auch „Die eigenen Emotionen zu kontrollieren, um dem Gegenüber einen erwünschten Gefühlsausdruck zu präsentieren.“  (Schnerring / Verlan: Equal Care. Über Fürsorge und Gesellschaft. Berlin, 2020)

Es ist Arbeit, die anfällt, wenn die Stimmung zu kippen droht, obwohl noch so viel zu erledigen ist. Zu Hausaufgaben motivieren, obwohl man auch selbst die Faxen dicke hat vom Homeschooling. Die Familie bei Laune zu halten, und auch noch die schlechte Stimmung derer auffangen, die gar nicht merken, wie sehr sie mit ihrer grimmigen Miene am Essenstisch alle mit runterziehen. Zwischendurch noch ein optimistisch-beschwingtes Telefongespräch mit den sorgenvollen Großeltern und ein berufliches Videomeeting mit guter Miene trotz Hintergrundchaos…

In der Psychologie unterscheidet man zusätzlich zwischen Oberflächenhandeln (Surface Acting; So-als-ob-Gefühlsausdruck) und Tiefenhandeln (Deep Acting; authentische Darstellung) (z.B. in Hochschild, Arlie. The managed heart. Berkeley, CA: University of California Press. 1983). Einen Gefühlsausdruck zeigen zu müssen, der gar nicht dem tatsächlichen Gefühl entspricht, schadet auf Dauer der Gesundheit, zumal es kontraproduktiv ist, die eigenen Gefühle ständig zensieren zu müssen. Aber zur Zeit wird trotzdem von vielen Neutralität oder eine positive Ausstrahlung verlangt, allein um die Utopie „Vereinbarkeit“ auch im HomeOffice aufrechtzuerhalten. Wer sie auch jetzt noch fordert, hat nie seine Erwerbsarbeit an den Küchentisch verlegt, während kleine Kinder um ihn herumtanzen.

Equal Care?

Es ist also sicher nicht zu viel verlangt, dass gesunde erwachsene Familienmitglieder sich die Mental Load und Emotionsarbeit teilen. Aber es sind trotzdem überwiegend Frauen, die schon von Kind an gelernt haben, lernen mussten, mehr Rücksicht auf die Stimmung anderer zu nehmen und sie zu unterstützen, wieder auf die Beine zu kommen (Studie dazu: ‚Emotional Labour: Skill and Work in the Social Regulation of Feelings‚).

Manchmal auf Kosten der eigenen Kraft und Schutzhülle, denn der Balanceakt zwischen der Selbstfürsorge und der Erfüllung von Normen und Erwartungen, ist schwierig. Deshalb ist es schonmal eine große Hilfe, wenn diese Arbeit überhaupt gesehen und auch im Privaten als solche anerkannt wird!

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