Es ist nicht so schlimm, Vorurteile zu haben, aber es ist fatal, zu glauben, man hätte keine!
„Also wir achten ja nur auf Qualität, nicht auf Geschlecht!“
„Bei uns werden Kinder unabhängig vom Geschlecht gleich behandelt.“
Die Rosa-Hellblau-Falle im Alltag, also der sog. ‚Unconscious Bias‘, ist dort am meisten verbreitet, wo die beiden eingangs genannten Aussagen nicht hinterfragt werden. Wir wollen niemandem den guten Willen absprechen, aber wir möchten ein paar Gedanken und Fragen dazu teilen:
Wie soll ein „gleich“ behandeln im Alltag aussehen? Wir hoffen sehr, dass nirgendwo alle Mitarbeitenden oder Kinder gleich, sondern im Idealfall individuell behandelt werden. Und damit höchst unterschiedlich, weil niemals alle Individuen einer Gruppe dieselbe Behandlung brauchen. Wir sind nicht gleich groß, nicht gleich schwer, nicht gleich schnell oder wach, nicht gleich interessiert oder bereit. Wir sehen und hören nicht gleich, wir haben nicht dasselbe Vorwissen.
Aber wir sind alle in einer Gesellschaft aufgewachsen, die Wert darauf legt, Menschen nach Geschlecht (und nach Herkunft, Alter und Einkommen…) einzuteilen. Kategorien sind zwar wichtig und durchaus hilfreich für die Orientierung, aber sie kommen selten ohne Hierarchie. Sie scheinen uns praktisch, um die Welt zu ordnen, aber sobald wir selbst in eine Kategorie gesteckt werden, wird spürbar, dass diese Ordnung auch limitiert und die Wahlfreiheit einschränkt.
Ab Tag Eins haben wir alle lernen müssen, dass Jungen und Mädchen Unterschiedliches zugetraut, Unterschiedliches von ihnen erwartet wird, und mussten individuelle Wünsche deshalb öfter mal zurückstecken.

Selbst dann, wenn Eltern sich alle Mühe geben, es anders zu machen: die Umwelt, in der Kinder sich bewegen, ist eine, die auf Binarität Wert legt:
Mann oder Frau? Normal oder untypisch? Richtig oder falsch? Rosa oder Hellblau? – Wer kann sich ganz frei davon machen, Berufe und Interessen, Verhaltensweisen und Aussehen, die Art des Auftretens, die Körpersprache, Kleidung, Formulierungen, Sprechanteil usw. wahrzunehmen ohne Verbindung zu Geschlechterfragen?
Schritt Eins bei allen Versuchen, die Rosa-Hellblau-Falle zu umschiffen ist also, zu erkennen, dass ein Gleichbehandeln selten möglich ist. Es gibt niemanden, die*der Kinder unabhängig von ihrem Geschlecht gleich behandelt, es gibt kein berufliches Umfeld, in dem Menschen nicht aufgrund ihres Geschlechtes unterschiedlich bewertet, in dem nicht unterschiedliche Erwartungen an sie herangetragen werden.
Aber es gibt Menschen, die um diese Schwierigkeit wissen und deshalb darauf bedacht sind, ihr Handeln, ihre Sprechen und Entscheiden daraufhin zu reflektieren!
Auswahl einiger Studien zum Gender Bias im beruflichen Kontext:
2005: Unterschiedliche Qualifikation wird so bewertet, dass sie zur Stellenausschreibung passt. Bei Männern. Bei Frauen nicht. Und auch hier ergab: wer sich selbst als objektiv einschätzt, entscheidet besonders stereotyp. Eine Studie der Yale University: Constructed Criteria – Redefining Merit to Justify Discrimination
2006: Investoren setzen weniger Vertrauen in Frauen
2010: Universitäre Empfehlungsschreiben für Frauen enthalten in der Beschreibung mehr stereotyp weibliche Eigenschaften, was in der Folge Nachteile bringt. Recommendation Letters May Be Costing Women Jobs, Promotions
2012: Frauen haben schlechtere Chancen auf Forschungsförderung
2012: Selber Lebenslauf, anderer Name: Männern wird in der Forschungscommunity mehr zugetraut – von beiden Geschlechtern. Double Bind Studie zu Bewerbungsverfahren
2012: Vorurteile unter Primatenforschern. Laden Männer die Redner zu wichtigen Konferenzen ein, bleiben Frauen oft außen vor.
2014: Studie, in der Frauen und Männer Matheaufgaben im Durchschnitt gleich gut lösen zeigt, dass trotzdem Männer für den entsprechenden Job eingestellt werden, egal ob die Entscheider*innen ein Foto, eine Selbsteinschätzung oder Ergebnisse früherer Aufgaben als Entscheidungshilfe hatten. Women Who Can Do Math Still Don’tGet Hired
2015: Der Redeanteil von Frauen, die sich in professionellem Kontext äußern, wird anders bewertet als der von Männern: Entweder sie werden überhört oder als aggressiv bewertet. Either she’s barely heard or she’s judged as too aggressive.When a man says virtually the same thing, heads nod in appreciation for his fine idea. As a result, women often decide that saying less is more.
2015: Bewertung von Kreativität bei Frauen und Männern: stereotypically masculine behavior enhances a man’s perceived creativity, whereas identical behavior does not enhance a woman’s perceived creativity. Außerdem profitieren Männer, wenn ihre Arbeit als risikoreich eingeschätzt wird.
2016: Im Internet werden Frauen mehr gesehen als gehört, also abgebildet aber nicht zitiert. men’s views and voices are represented more in online news than women’s
2017: Sind Männer ärgerlich, wird ihnen eher geglaubt als Frauen. Sind Frauen ärgerlich, bestätigt das Zuhörende in ihrer eigenen Meinung. „men were able to exert more social pressure by expressing anger,“ whereas women actually lost influence when they did the same thing.
2018: Erhalten Wissenschaftlerinnen Empfehlungsschreiben, sind darin häufiger als bei Männern Formulierungen enthalten, die Zweifel an der Eignung der empfohlenen Person aufkommen lassen: Letters of recommendation are biased against the women they’re supposed to help.
2018: Frauen fragen genauso oft nach einer Gehalterhöhung, bekommen sie aber seltener. we found that, holding background factors constant, women ask for a raise just as often as men, but men are more likely to be successful.
2018: Gender-Bias beim Kommunikationsverhalten. Unterbrechen Frauen andere im Sprechen, stufen Männer sie als unfreundlicher, unhöflicher und weniger intelligent ein. Frauen nicht. Male listeners were more likely to view women who interrupted another speaker in the audio clips as ruder, less friendly and less intelligent than men who interrupted.
2018: Frauen führen ihre Teams zu besseren Leistungen, werden von Männern aber trotzdem weniger anerkannt. Unter weiblicher Führung liefen besonders Frauen zu Höchstform auf. Männliche Teilnehmer sahen die Leistungen der Führungsfrauen trotzdem kritisch, bewerteten sie nämlich tendenziell schlechter als die der männlichen Teamleitungen.
Studien zum Bias Erwachsener im Kontakt mit Kindern…
sammeln wir auf dem Blog der Rosa-Hellblau-Falle unter:
babyx.rosa-hellblau-falle.de
